Kenia (WVZ 20)

Mein Ex-Mann und ich haben von 1995 bis 1998 in Nairobi, Kenia, gelebt. Cornelia hat uns dort zweimal besucht. Bei ihrem zweiten Aufenthalt über Weihnachten und Neujahr 1997/1998 stand ein Besuch in einem Schnitzerviertel in Nairobi auf dem Programm. Unzählige Schnitzer arbeiteten dort. Unter Überdachungen vor der Sonne geschützt, auf dem Boden kauernd oder auf kleinen Hockern, wurde hier von morgens bis abends geschnitzt. Vornehmlich Touristenkitsch, Tierfiguren in Groß und Klein, mannshohe Giraffen, wie man sie aus allen Souvenirläden des Landes kennt, Masken und alles was sich sonst noch vermarkten ließ. Wir liefen stundenlang umher und beobachteten die Schnitzer bei ihrer Arbeit.

Überall lagen grosse Haufen mit Holzmaterial. Ihre anfängliche Zurückhaltung vergessend, fing Cornelia bald an in diesen Haufen herumzuwühlen und es dauerte nicht lange, bis ein ziemlich dickes und ziemlich langes Stück aus tief dunklem Holz ihr Interesse weckte. Es handelte sich um Hartholz. Ob es nun tatsächlich Ebenholz war, als das es der Besitzer anpries, oder doch 'nur' afrikanisches Grenadill, das aber ähnliche Eigenschaften wie Ebenholz aufweist, bleibt bis heute ein Geheimnis. Sie beäugte das Holz von allen Seiten, drehte es hin und her, begutachtete die Konsistenz durch Klopfen und war vollständig versunken. Ich wusste, was kommt. Sie wollte es haben. Unbedingt. Und während ich noch mit dem Besitzer des Holzes um den Preis feilschte, war sie in Gedanken schon bei der Bearbeitung. Sie war glücklich - und ich fragte mich, wie sie das Trumm wohl nach Deutschland bringen wollte. Im Koffer, das war ihr Plan.

Nach Hause zurückgekehrt verschwand Cornelia sofort mit dem Holz in ihrem Zimmer und kam frustriert wieder heraus - das Holz war zu lang für den Koffer, und erst recht um es als Handgepäck zu transportieren. Was tun?

 

Wer schon einmal in Kenia unterwegs war, ist auf alle Fälle auf 'Jua Kali' Business gestossen. Überall im Land finden sich am Strassenrand kleine Werkstätten und Shops, teils unter freiem Himmel (daher der Name 'jua kali' was übersetzt 'unter brennender Sonne' bedeutet), teils in Wellblech- oder Holzhütten, wo praktisch alles gebaut, repariert und improvisiert wird, was das Herz begehrt. So gibt es auch Dienstleister, die mit Kettensägen und Äxten Holz zu Brennholz verarbeiten und genau das brauchten wir.

 

Also war der nächste Ausflug schon vorprogrammiert. 'Hakuna matata' ('kein Problem') hiess es auf unser Anliegen hin, aber Hartholz ist eben Hartholz. Nicht nur eine Sägekette ging zu Bruch, aber der Ehrgeiz des kettensägenden Dienstleisters war geweckt. Letztendlich war das lange Stück Holz am Ende des Tages in zwei Einzelteile zerlegt - aber beide immer noch viel zu schwer für das Fluggepäck. Cornelia musste sich bescheiden. Sie wolle erst einmal nur eines mitnehmen, das andere bei uns deponieren und vielleicht könnten wir es ja bei unserem nächsten 'Home Leave' mit nach Deutschland nehmen. Aber jedes Stück für sich allein war schon enorm schwer. Also plünderte sie unsere Werkstatt, verzog sich mit Holz und Werkzeug in den Garten und fing an, hier und da schon Material abzutragen, um das Gewicht zu verringern. So lange bis es passte.

 

Des Menschen Wille ist sein Himmelreich. Sie nahm eines mit nach Deutschland.

 

Zehn Tage nach ihrer Rückkehr nach München schrieb sie mir ein langes Fax, aus dem ich nun wortwörtlich zitiere:

 

"... jetzt hätte ich doch fast vergessen, Dir von meinem gestrigen Erlebnis zu erzählen. Ich habe angefangen, am Ebenholz zu arbeiten. Nach einer Stunde Bearbeitung hatte ich den Eindruck, daß das Holz ziemlich von Gängen durchdrungen ist und zwar in einem Ausmaß, wie ich es von hiesigen Würmern nicht kenne. So habe ich nach anfänglicher Enttäuschung beschlossen, alle Gänge aufzubrechen und zu verfolgen, um zu sehen, was dann von dem Holz noch übrig bleibt und was ich dann daraus mache. Du ahnst, was kommt, ich ahnte es nicht. Plötzlich, ohne Vorankündigung, wie auf ein geheimes Signal krochen aus sämtlichen Löchern (hunderte ist übertrieben) aber sehr viele Ameisen mit weißen Eiern. Ich habe einen fürchterlichen Schreck bekommen. Das Holz war in Sekundenschnelle übersät. In meiner Panik (da tauchen Urängste auf) habe ich es genommen, bin zur Wohnung rausgerannt, die Treppe runter und (die Haustür war Gott sei Dank offen) in den Hof. In hohem Bogen habe ich den Scheit von mir geworfen und mir aus etwas Entfernung dann das Gewusel angeschaut. Da ich keinen Schlüssel mitgenommen hatte und fürchtete die Tür fällt zu, bin ich wieder hoch, habe dort erst einmal ein paar vereinzelte Ameisen gekillt, und als ich dann wieder runterkam waren alle auf dem Holz verschwunden. (Es waren sicher keine 5 Minuten). Da stand ich dann und mußte mir erst einmal klar werden, was das denn jetzt war, und ich bin mir jetzt nicht klar, ob ich das Ganze lustig oder einfach nur Sch*** finde soll.

Ich habe keine Ahnung, aber ich denke, das sind Termiten. In meinem Reallexikon stand nicht sehr viel drin, aber das, was drin stand, sprach doch sehr dafür. Angeblich sitzt die Königin, eine Gebärmaschine, die 1000 Eier am Tag legt, in der Mitte der Höhle (sprich, meinem Holz) und viele Gänge führen von außen zu ihr. Und so ist es wohl. Blicke ich von oben auf das Holz, ist es in der Mitte völlig porös und die Gänge bilden fast ein Netz in die Tiefe. So langsam kommen mir wieder all meine Zweifel, die ich abgetan habe. Ich hätte von Anfang an mir zugestehen müssen, daß da kein kleiner Wurm drin sitzt oder, was ich ja annahm, drin saß. Da ich in meinen Gestaltungen ja sehr frei bin und immer auch Mißgeschicklichkeiten des Materials einfach einbaue, habe ich bis zuletzt gedacht, was immer mich auch erwartet - hakuna matata. Kurzum, ich fürchte nun, im Handgepäck (man bedenke, 2x durchleuchtet) einen Termitenstaat eingeflogen zu haben. Und wenn in München nun die Dachstühle zusammenbrechen oder eigenartige, burgförmige Haufen sich aus dem Asphalt erheben, dann war ich es.

Das Holz kommt mir nun erst einmal nicht mehr in die Wohnung. Ich denke, die Viecher sind einfach wieder zurückgekrochen und während sie (es ist doch erstaunlich) in meiner Wohnung fast 2 Wochen lang noch überleben konnten, so hoffe ich, daß Ihnen die Kälte draußen (es hat um die 6°C) doch zu schaffen macht. Nach all den Erlebnissen unseres gemeinsamen Einkaufs, dem Durchsägen, dann der ersten Bearbeitung, um das Gewicht zu verringern, dem entscheidungsschweren Einpacken, dem angstvollen Einfliegen, bis hin zu dem gestrigen Höhepunkt, hängt für mich nun so viel an dem Teil, daß ich es nun nicht mehr einfach aufgeben will."

 

Sie hat es auch nicht aufgegeben und es entstand 'Kenia'.

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